
Wie führt ihr schwierige Gespräche in eurem Team? Diese Frage führt uns direkt zum Thema psychologische Sicherheit, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhält.
Unternehmen wie Google haben erkannt, dass psychologische Sicherheit nicht nur ein Konzept für bessere Teamarbeit ist, sondern auch der Schlüssel zu Inklusion und kontinuierlichem Lernen. Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mich entschieden, mich in diesem Bereich weiterzubilden – an der Berner Fachhochschule unter der Leitung von Prof. Dr. Ina Goller, einer Expertin auf diesem Gebiet und Studiengangleiterin des EMBA-Programms in Innovation.
Bereits an meinem ersten Ausbildungstag als Facilitator psychologische Sicherheit bekam mein Hirn ordentlich Futter und Inspiration!
Meine drei zentralen Highlights vom ersten Ausbildungstag:
Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass sich alle "wohlfühlen". Vielmehr geht es darum, dass schwierige Themen offen angesprochen werden können – ohne Angst vor negativen Konsequenzen.
"Psychologische Sicherheit ist nicht das Ziel" - Ina Goller. Psychologische Sicherheit hilft Teams – unabhängig von Branche oder Umfeld – ihre Ziele besser zu erreichen und die Herausforderungen des Alltags effektiver zu meistern.
Ohne psychologische Sicherheit bleiben wichtige Fragen unausgesprochen, Probleme ungelöst und Potenziale ungenutzt. Wenn immer nur dieselben Personen das Wort ergreifen, oder alle viel sprechen und niemand genug zuhört, fehlt es an neuen Perspektiven. Wenn Fehler nicht offen geteilt und gemeinsam reflektiert werden, bleibt wertvolles Lernen aus.
Auf alle drei Erkenntnisse möchte ich in diesem Artikel näher eingehen.
1. Psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktor
Warum leisten manche Teams mehr als andere, obwohl ihre Mitglieder ähnlich kompetent sind? Die Google-Studie von 2012 bis 2016 zeigt: Es kommt weniger darauf an, wer im Team sitzt, sondern wie das Team zusammenarbeitet.
Teams mit hoher psychologischer Sicherheit:
sind produktiver und innovativer
wagen es, Fehler anzusprechen, und von Fehlern zu lernen
profitieren mehr von Diversität, weil unterschiedliche Perspektiven gehört werden.
Ohne psychologische Sicherheit bleiben wichtige Fragen unausgesprochen, Probleme ungelöst und Potenziale ungenutzt.
Interessant: Teams mit tiefer psychologischer Sicherheit und hoher Diversität schneiden schlechter ab als wenig diverse Teams. Das heisst, dass Diversität nur dann ihr Potenzial entfaltet, wenn psychologische Sicherheit gegeben ist.
Oder in den Worten von unserem Gastdozenten, Florian Rohr (Swisscom): Psychologische Sicherheit ist Investitionsschutz für Diversität.
Natürlich ist psychologische Sicherheit nicht der einzige Erfolgsfaktor. Es gibt durchaus Teams mit toxischer Kultur und niedriger psychologischer Sicherheit, die langfristig erfolgreich sind – oft, weil Leistung durch Druck, Wettbewerb oder strikte Hierarchien erzwungen wird. Erfolg ist möglich – aber oft mit hohen menschlichen und unternehmerischen Kosten.
2. Lernen heisst Fehler machen dürfen – Veränderung heisst daraus wachsen
Wir Menschen lernen nicht effektiv unter Angst oder Druck. Das Konzept des Locus of Control zeigt: Wer sich fremdbestimmt oder machtlos fühlt, nimmt weniger aktiv am Lernprozess teil.
Carl Rogers betonte bereits 1965, dass individuelles Lernen die Grundlage für organisationale Veränderung ist. Doch Veränderung löst oft Unsicherheit aus – insbesondere, wenn Fehler als Schwäche statt als Lernchance gesehen werden.
Wie können Organisationen eine Kultur schaffen, in der Menschen sich trauen, neue Dinge auszuprobieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen?
Ein hilfreiches Modell zur Entwicklung psychologischer Sicherheit ist das von Timothy R. Clark entwickelte Vier-Stufen-Modell:
Inclusion Safety: Das Grundgefühl, als Mensch akzeptiert zu werden.
Learner Safety: Die Sicherheit, Fragen zu stellen und Fehler machen zu dürfen.
Contributor Safety: Das Vertrauen, eigene Ideen und Beiträge einzubringen.
Challenger Safety: Der Mut, bestehende Strukturen oder Entscheidungen zu hinterfragen.
Jede dieser Stufen baut auf der vorherigen auf – fehlt eine, kann das gesamte Teamklima leiden. Dabei wachsen die Achsen Erlaubnis (Permission) und Respekt (Respect) nicht linear, sondern exponentiell:
Je höher die psychologische Sicherheit, desto mehr fühlen sich Menschen ermutigt, sich einzubringen – und desto stärker wird ihre Stimme auch respektiert.
Spannende Frage: Welche Aufnahmerituale existieren in deinem Team? Ab wann gehört jemand wirklich „dazu“?
3. Beispiele aus Wissenschaft und Praxis
Die NASA erkannte 1979, dass Flugzeugabstürze nicht nur technische Fehler sind, sondern oft daran liegen, dass kritische Stimmen zu lange ignoriert wurden. Daraus entstand das Crew Resource Management (CRM), das klare Kommunikationsstrukturen und Feedbackkultur fördert.
Psychologische Sicherheit bedeutet also nicht, dass sich alle einfach "wohlfühlen".
Es geht darum, dass unangenehme Themen offen angesprochen werden können und kritische Perspektiven gehört wissen.
Ein weiteres Beispiel: Zwischen 2012 und 2016 untersuchte Google, warum einige Teams besser performen als andere. Das Ergebnis: Es geht nicht nur darum, wer im Team ist (also die individuellen Kompetenzen), sondern vor allem darum, wie das Team zusammenarbeitet. 30 % der Leistung hängen direkt mit psychologischer Sicherheit zusammen.
4. Fragen, die ich weiterverfolgen und vertiefen möchte
In welchem Masse ist psychologische Sicherheit kulturell geprägt? Wie wirken sich kulturelle Unterschiede auf die Wahrnehmung und das Erleben von psychologischer Sicherheit aus?
Worauf müssen wir achten, wenn wir psychologische Sicherheit in kulturell diversen Teams fördern wollen? Welche besonderen Herausforderungen entstehen hier und wie können wir diese effektiv adressieren?
Wie kann ich als Einzelperson aktiv zur psychologischen Sicherheit meines Teams beitragen? Welche kleinen Verhaltensänderungen haben besonders grossen Einfluss auf das Teamklima?
Was passiert, wenn Teammitglieder mit hoher Verletzlichkeit konfrontiert werden? Wie wirkt sich dies auf die psychologische Sicherheit und das Vertrauen im Team aus?
Was passiert, wenn ein neues Teammitglied in einem Team mit hoher psychologischer Sicherheit die Leistung nicht zufriedenstellend erbringt? Wie wirkt sich dies auf das Team aus, wenn die Person die vier Stufen der psychologischen Sicherheit nie vollständig erlebt?
Fazit: Psychologische Sicherheit als Zukunftskompetenz
Viele der sogenannten „Future Skills“ – wie Lernfähigkeit, Kreativität, Resilienz und Kollaboration – stehen in direktem Zusammenhang mit psychologischer Sicherheit. Sie entscheidet darüber, ob Teams ihr volles Potenzial entfalten, ob innovative Ideen entstehen und ob schwierige, aber notwendige Gespräche geführt werden.
Psychologische Sicherheit ist zwar kein Selbstläufer – aber sie lässt sich bereits durch kleine, gezielte Verhaltensimpulse erlebbar machen.
Schon durch einfache, alltägliche Handlungen und achtsame Kommunikation können Führungskräfte und Teammitglieder einen Raum schaffen, in dem sich jede*r sicher fühlt, seine oder ihre Meinung zu äussern oder über Fehler zu sprechen. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.
Welche Rolle spielt sie in eurem Arbeitsumfeld? Habt ihr Situationen erlebt, in denen psychologische Sicherheit den Unterschied gemacht hat – oder gefehlt hat, als sie besonders wichtig gewesen wäre? Ich freue mich auf eure Gedanken und Erfahrungen!
Danke an Ina Goller, Gastdozent Jonas Naizdion und Gastdozent Florian Rohr für diesen fantastischen Start in diese Weiterbildung. Ich bin gespannt auf die nächsten Weiterbildungstage!