Zwischen Bauchgefühl und Bias: Fair entscheiden im Recruiting.
- Sunita Asnani
- 20. Juli
- 3 Min. Lesezeit

Wie ist dein letztes Bewerbungsgespräch verlaufen? Erinnerst du dich an deinen ersten Eindruck? War er positiv – oder eher irritierend? Hast du gedacht: „Passt ins Team“ oder „Irgendwie nicht stimmig“?
Solche Eindrücke entstehen oft in Sekundenschnelle. Aber worauf beruhen sie? Auf Intuition? Erfahrung? Oder auf unbewussten Annahmen?
Unser Bauchgefühl spielt im Recruiting eine wichtige Rolle. Es liefert schnelle Hinweise – etwa: „passt“ oder „passt nicht“. Doch wenn wir uns zu sehr darauf verlassen, ohne nachzufragen, kann Intuitions-Bias entstehen. Unsere Urteile werden dann durch persönliche Erfahrungen oder Stereotype verzerrt – meist unbewusst.
Der Unterschied: Bauchgefühle sind instinktiv und können hilfreich sein, wenn wir sie mit kritischem Denken kombinieren. Unconscious Bias hingegen sind unbeabsichtigte, voreingenommene Urteile, die objektive Entscheidungen erschweren – oft, ohne dass wir es merken.
Im Recruiting bedeutet das: Ein erster positiver Eindruck kann wertvoll sein. Er sollte aber immer durch klare, strukturierte Kriterien ergänzt werden, damit Entscheidungen fair und kompetenzbasiert bleiben.
Gerade hier ist diese Unterscheidung nicht leicht – aber entscheidend. Denn erste Eindrücke wirken mit – auch wenn wir glauben, objektiv zu sein.
Und das hat Folgen - Für Chancen, und für Vielfalt. Und für die Frage, wer überhaupt zum Gespräch eingeladen wird.
1. Was ein Name (leider) verraten kann
Ein Experiment aus der Schweiz zeigt: Der Name einer Person kann ihre Chancen auf ein Vorstellungsgespräch erheblich beeinflussen. In einer Studie wurden über 800 Bewerbungen verschickt – identisches Profil, aber unterschiedliche Namen.
Das Resultat: Bewerbende mit ausländisch klingenden Namen mussten rund 30 % mehr Bewerbungen schreiben, um gleich viele Einladungen zu erhalten wie Personen mit typisch schweizerischen Namen.
Auch andere Merkmale wirken sich aus: Eine internationale Metaanalyse von 18 Studien zeigt, dass offen homosexuelle Bewerbende rund 40 % seltener eine positive Rückmeldung erhalten – besonders in weniger qualifizierten Berufen
Interessant: Bewerbungen, die persönliche oder soziale Aspekte wie Freiwilligenarbeit, Soft Skills oder Auszeichnungen hervorheben, sind weniger stark von Diskriminierung betroffen.
Was hilft:
✔️ Bewerbungen in frühen Phasen anonymisieren
✔️ Klare Kriterien für Auswahl und Bewertung definieren – Fokus auf Kompetenzen statt auf Annahmen
✔️ Zusätzliche Felder für Soft Skills, Engagement oder Auszeichnungen beibehalten
✔️ Diversität im Auswahlgremium
Quellen:
Do Swiss Citizens of Immigrant Origin Face Hiring Discrimination in the Labour Market?(NCCR – on the move, 2023)
Meta-analysis on hiring discrimination against homosexuals (Alexandre Flage, 2022)
2. Fair rekrutieren trotz Bias: Wann dein Kopf eine Pause braucht
Auch der Zeitpunkt der Entscheidung kann eine Rolle spielen. Eine ETH-Studie, die 150'000 Bewerbungen in der Schweiz untersuchte, zeigt:
🕒 Kurz vor dem Mittag und am Feierabend steigt Diskriminierung um 20 %. Müde und unter Zeitdruck greifen wir also eher auf Stereotype zurück – unbewusst.
Weitere Befunde:
Frauen in männerdominierten Branchen: 7 % weniger Kontaktaufnahmen
Männer in frauendominierten Bereichen: 13 % weniger
Kandidierende mit Migrationshintergrund: 6,5 % weniger Chancen, mit zunehmender "kultureller Distanz" steigt der Effekt
Was hilft:
✔️ Standardisierte Bewertungssysteme
✔️ Klare CV-Screening- und Interviewkriterien
✔️ Bewusste Pausen und gemeinsame Reflexionsrunden nach Auswahlprozessen
3. Mehr Frauen – aber wie lange bleiben sie?
Ein weiterer Faktor: Strukturelle Hürden – auch dort, wo Vielfalt auf den ersten Blick schon angekommen ist. Ein Beispiel: Das aktuelle Whitepaper "The Unseen Code: "Unlock Switzerland's female tech potential"mit Daten aus rund 20 Schweizer Tech-Firmen zeigt:
Unter den Angestellten beträgt der Frauenanteil 30 %, im Junior Management 21 % und im Senior Management nur noch 18 %.
Was den Frauenanteil bei MINT-Studienabschlüssen betrifft, steht die Schweiz im OECD-Vergleich von allen Ländern an drittletzter Stelle.
Hemmende Strukturen:
Frauen werden tendenziell nach Leistung, Männer nach Potenzial bewertet
Führung wird noch oft durch ständige Verfügbarkeit definiert
Fehlende Teilzeitmodelle
Unbezahlte Care-Arbeit wird kaum berücksichtigt
Die Folge: Viele talentierte Frauen stagnieren oder steigen aus, obwohl sie Kompetenz mitbringen.
Was du tun kannst:
✔️ Transparente Beförderungskriterien
✔️ Teilzeit-fähige Führungsrollen anbieten
✔️ Bias-sensible Leistungsbewertungen einführen
✔️ Familienarbeit in Entwicklungspläne integrieren
✔️ Eine Kultur fördern, in der Präsenz und Flexibilität gleichwertig zählen
Quellen:
Fazit
Diskriminierung im Bewerbungsprozess ist selten böswillig – aber oft unbewusst und systemisch. Genau deshalb ist es so wichtig, die eigenen Prozesse kritisch zu hinterfragen und sich für Unconscious Bias zu sensibilisieren. Nur so kannst du sicherstellen, dass wirklich zählt, was zählt: Kompetenz, Motivation und Potenzial.
Lass uns gemeinsam Strukturen schaffen, in denen nicht der Name, das Timing oder das Geschlecht entscheiden – sondern Talent und Haltung.
PS: Wie stark verändert sich dein Eindruck von der Frau in den verschiedenen Bildern? Und wie würde das dein Bauchgefühl im Bewerbungsgespräch beeinflussen?



