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AutorenbildSunita Asnani

Kulturelle Vielfalt: Die Zukunft ist postmigrantisch.

Aktualisiert: 17. Nov.


Teilnehmende an einem Workshop zu kultureller Vielfalt und Inklusion.

Ob bei einem Vorstellungsgespräch oder im Schulzimmer: Kulturelle Unterschiede prägen unser Miteinander und unsere Entscheidungen. Wie gehen wir mit dieser Vielfalt um – im Alltag, in der Wirtschaft und in unserer Gesellschaft?


Man muss nicht in Biel oder Schwamendingen leben, einen Migrationshintergrund haben oder in internationalen Märkten tätig sein, um mit kulturellen Unterschieden konfrontiert zu werden. Diese begegnen uns nur schon zwischen der Romandie und der Deutschschweiz, oder zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen. Wir sind alle unterschiedlich kulturell geprägt – sei es durch das Dorf, in dem wir aufwuchsen, die Schule, die wir besuchten, oder die Werte, die unsere Lebensentscheidungen beeinflussen.


Die Begriffe multikulturell, interkulturell und transkulturell tauchen auf, wenn von kultureller Vielfalt die Rede ist. Doch was bedeuten sie konkret – und welche Relevanz haben sie für Unternehmen? Und vor allem: Was genau ist eine „postmigrantische“ Gesellschaft?


In diesem Artikel gehe ich diesen Fragen nach, kläre Begriffe und zeige auf, warum es für Unternehmen wichtig ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um zukunftsfähig zu bleiben.


Multikulti: Kulturelle Vielfalt als buntes Nebeneinander


Multikulturell beschreibt das friedliche Nebeneinander verschiedener Kulturen – oft mit wenig Interaktion. Ein klassisches Beispiel dafür sind Viertel in Städten wie London (z.B. Chinatown oder Southall), die klar von bestimmten ethnischen oder kulturellen Gruppen geprägt sind.

Das Multikulti-Modell betont eher das tolerierte Nebeneinander als das Miteinander und birgt die Gefahr der Segregation.


Multikulturell: Viele Kulturen die nebeneinander leben.

Was bedeutet das für die Arbeitswelt?


Wenn in einem Unternehmen die Abteilungen isoliert voneinander arbeiten oder der Austausch hauptsächlich innerhalb der eigenen Kulturkreise oder Hierarchieebene stattfindet, entsteht eine „Bubble“. Menschen verbinden sich vornehmlich mit denjenigen, die ähnliche Sichtweisen, Werte und Kommunikationsstile teilen. Dies kann zu parallel existierenden Lebenswelten führen, in denen wenig Austausch stattfindet. 

Das Potenzial für innovative Lösungen und kreative Ideen wird nicht ausgeschöpft, was die Innovationskraft des Unternehmens erheblich einschränkt. Konflikte können oft unbemerkt schwelen, was langfristig die Zusammenarbeit und den Unternehmenserfolg gefährden kann.


Tipp: Bewusst Plattformen schaffen, die den Austausch zwischen unterschiedlichen Teams und Ebenen fördern. Dies können interdisziplinäre Workshops, Mentoring-Programme oder informelle Networking-Events sein. Wichtig ist, dass diese Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden und genügend Raum für einen offenen Dialog bieten. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte "Lunch Roulette", bei dem Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen zufällig zusammengebracht werden, um neue Perspektiven zu gewinnen und Vorurteile abzubauen.


Interkulturell: Kulturelle Vielfalt als Dialog zwischen den Kulturen


Der Begriff interkulturell geht einen Schritt weiter. Hier geht es nicht nur um das Nebeneinander, sondern um den aktiven Austausch zwischen verschiedenen Kulturen. Es geht darum, die Unterschiede zu verstehen, Brücken zu bauen und Kommunikation zwischen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu ermöglichen.

Zwei Menschen, die einen interkulturellen Dialog führen.

Was können Unternehmen daraus lernen?


"Ein kleines Gedankenexperiment: Ein Mensch hat ein bestimmtes Problem zu lösen, und er kommt auf drei mögliche Lösungswege. Wie viele verschiedene Ansätze würden wohl zehn Menschen finden, die genauso denken wie dieser eine Mensch? Und wie viele Lösungsansätze würden demgegenüber zehn Menschen finden, die völlig unterschiedlich denken und unterschiedliche Perspektiven einbringen? Ich setze auf Vielfalt." - Ana-Cristina Grohnert


Teams mit kulturell divers geprägten Menschen können komplexe Aufgaben oft besser lösen – vorausgesetzt, die unterschiedlichen Perspektiven werden erkannt, gefördert und genutzt!


Studien zeigen, dass viele interkulturelle Projekte aufgrund von Missverständnissen scheitern, was sowohl finanziell als auch motivierend nachteilig ist. In anderen Worten: Diversität ohne Inklusion ist erstens problematisch und zweitens eine ungenutzte Chance.

Interkulturelle Trainings können helfen, ein besseres Verständnis für die Eigenheiten anderer zu entwickeln – und bieten so die Chance, aus Diversität echte Vorteile zu ziehen. 


Eine wichtige interkulturelle Kompetenz ist das Wissen über Werte, Prinzipien und Tabus einer Kultur. Dabei spielt z.B. das Klären von Rollenvorstellungen und den damit verbundenen Erwartungen eine zentrale Rolle.

Es gibt zum Beispiel Kulturen, in denen man sich gegenüber einer hierarchisch höher gestellten Person nie proaktiv einbringt oder Fragen stellt, ausser man erhält den Auftrag dazu. In der Schweizer Arbeitskultur wird das schnell als passiv und wenig initiativ gelesen. Für Personen aus der anderen Kulturen ist es aber ein Zeichen von Respekt. Damit solche Vorurteile und Missverständnisse, gar nicht erst entstehen, braucht es einen Austausch.


Ein häufiger Fehler im Umgang mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ist die Annahme, dass sich für jede Herkunft klare „Dos and Don’ts“ definieren lassen. 

Diese Vereinfachung übersieht die Komplexität individueller Persönlichkeiten. Anstatt ein festes Regelwerk zu erlernen, ist es viel wertvoller, die Fähigkeit zu entwickeln, aufmerksam zu beobachten, zu reflektieren und offenzubleiben.


Letztlich geht es bei jeder Begegnung um den Austausch zwischen Menschen – nicht zwischen Kulturen. Jede Person bringt ihre eigenen Erfahrungen und Sichtweisen mit, die über ihre kulturelle Zugehörigkeit hinausgehen.

Transkulturell: Kulturelle Vielfalt als Flusslandschaft


In der transkulturellen Perspektive wird deutlich, dass Kulturen keine abgegrenzten Einheiten sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen, sobald Menschen miteinander interagieren – ein Prozess, der schon entlang der ersten Handelsrouten begann. Ein Beispiel für transkulturelle Praxis ist die Musik- oder Kunstszene, in der verschiedene Kulturströme miteinander verschmelzen und neue Ausdrucksformen entstehen. 





Man interessiert sich für Eigenheiten, aber auch Gemeinsamkeiten. 

Was verbindet eine Landwirtin, die täglich den Boden bestellt, mit einem Künstler, der auf einer urbanen Bühne performt? Oder eine Managerin in einem Schweizer Grossunternehmen mit einem Strassenhändler in Mumbai?

Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich manchmal universelle Werte, wie die Bereitschaft, harte Arbeit zu leisten, kreative Lösungen zu finden und sich an wechselnde Umstände anzupassen. 


Für transkulturelle Kompetenzen braucht es “die Haltung, dass die eigene Kultur und Perspektive nicht der Bauchnabel der Welt ist”- so Irma Endres, Studiengangsleiterin transkulturelle Kompetenzen am Institut für Kommunikation und Führung. 


Wir lernen die eigene Kultur erst dann richtig kennen, wenn wir sie nicht mehr als universellen Massstab nehmen. 

Was können Unternehmen daraus lernen?


Eine auf Vielfalt und Inklusion setzende Unternehmenskultur fördert und ermöglicht das Einfliessen von Ideen, Werten und Perspektiven aus verschiedenen kulturellen Kontexten. Teams, die kulturelle Vielfalt nicht nur respektieren, sondern als Ressource verstehen, sind laut diverser Studien innovativer und erfolgreicher.


Die notwendige Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Normen wird als Chance zur Weiterentwicklung genutzt, und nicht als Hindernis abgetan. 


Postmigrantisch: Kulturelle Vielfalt ist Normalfall. Die Zukunft ist jetzt.


Der Begriff „postmigrantisch“ geht weit über die blosse Anerkennung kultureller Vielfalt hinaus. Migration wird nicht mehr als einmaliger oder temporärer Prozess verstanden. Sie gilt als Normalzustand, der die Gesellschaft kontinuierlich formt – und das schon immer getan hat. Die Geschichten und Erfahrungen von Migrant*innen werden nicht länger als Randerscheinung betrachtet.



Kindheitsfoto von mir in Buchrain LU, wo ich 1979 - 1980 mein erstes Lebensjahr verbracht habe.


Ein Blick auf die demografischen Daten der Schweiz verdeutlicht die Bedeutung einer postmigrantischen Perspektive: Rund 30 % der in der Schweiz lebenden Personen sind im Ausland geboren, fast 60 % der Kinder in der Schweiz haben mindestens ein Elternteil, der im Ausland geboren wurde, und bereits 40 % der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren haben einen Migrationshintergrund (BFS, 2024). Lies dazu auch meinen Blogartikel Kulturelle Vielfalt in der Schweiz - ein ungenutztes Potential?


Es steht ausser Frage: Die nächste Generation von Arbeitnehmer*innen in der Schweiz wird zunehmend kulturell divers geprägt sein. Macht also die Einteilung “Schweizer*in / Eingeborene”  und  “Ausländer*in/ Migrant*in” wirklich noch Sinn?

Die postmigrantische Schweiz fordert uns alle unabhängig von unserem Hintergrund auf, neu zu definieren, was es bedeutet, dazuzugehören und teilzunehmen.


Was bedeutet das für Unternehmen in der Schweiz?


Unternehmen, die bereit sind, sich auf die postmigrantische Gegenwart und Zukunft einzustellen, haben eine enorme Chance: Sie können den Anschluss an die nächsten Generationen und vielfältige Talente sichern. 


Das bedeutet auch, die Bewertungsmassstäbe für potenzielle Mitarbeitende zu hinterfragen. Statt sich ausschliesslich auf akademische Abschlüsse, Vitamin B oder standardisierte Berufsqualifikationen zu konzentrieren, sollten Unternehmen überlegen, welche zusätzlichen Perspektiven und Fähigkeiten jemand in ein Team einbringen kann. 


Die Frage lautet nicht mehr nur: Passt diese Person ins Team? Sondern vielmehr: Welche Perspektiven und Stärken können wir gemeinsam entfalten?

Fazit: Auf dem Weg in die postmigrantische Zukunft


Unternehmen, die kulturelle Vielfalt nicht nur anerkennen, sondern aktiv als Chance begreifen, werden in der Lage sein, das volle Potenzial ihrer Mitarbeitenden auszuschöpfen. Sie profitieren nicht nur von innovativeren Teams, sondern tragen auch zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Schweiz bei. 


Die Integration einer postmigrantischen Perspektive ist daher nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine strategische Investition für die Zukunft.


4 Tipps, wie Unternehmen sich auf die postmigrantische Realität vorbereiten können:


  1. Diversität gezielt fördern: Setzen Sie klare, messbare Ziele für Diversität und Inklusion, um Fortschritte transparent und nachvollziehbar zu machen. (Mehr dazu im Artikel Mehr als nur ein Bauchgefühl: Die Messbarkeit von DEI von Brigitte Hulliger).


  2. Feiern und verbinden: Nutzen Sie kulturelle Feiertage oder festliche Anlässe, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und das interkulturelle Verständnis zu fördern.


  3. Transkulturell trainieren: Schaffen Sie Räume für transkulturelle Schulungen, die ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Werte und Perspektiven ermöglichen und den interkulturellen Austausch vorantreiben.


  4. Neu denken beim Rekrutieren: Experimentieren Sie mit innovativen Rekrutierungsformaten wie Hackathons oder gehen Sie Partnerschaften mit Organisationen ein, die sich auf die Förderung diverser Talente konzentrieren.


Unternehmen, die Vielfalt als strategische Ressource nutzen, schaffen nicht nur ein kreativeres Arbeitsumfeld, sondern haben die Chance, als Vorreiter die Entwicklung einer inklusiveren und vielfältigeren Gesellschaft zu gestalten. 


Die entscheidende Frage bleibt: Sind wir bereit, diese Chance zu ergreifen?



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