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- Unter den Teppich gekehrt? Psychologische Sicherheit in der Schweizer Arbeitskultur
Stell dir vor, du sitzt im Team-Meeting. Ein Vorschlag liegt auf dem Tisch, alle nicken. Keine Einwände, keine Fragen. Das Meeting endet pünktlich, die Stimmung wirkt friedlich. Aber ist es wirklich so? Sind tatsächlich alle überzeugt – oder schweigen wir lieber, um nicht aufzufallen oder anzuecken? Haben wirklich alle das Gleiche verstanden, oder sagen wir nichts, um nicht als dumm dazustehen? Fällt es uns überhaupt auf, wenn jemand nichts sagt? Harmonie fühlt sich gut an – psychologische Sicherheit geht tiefer. Sie zeigt sich nicht daran, dass niemand widerspricht, sondern daran, dass jede Stimme zählt , auch wenn sie unbequem ist. 1. Psychologische Sicherheit – mehr als nett sein Nur weil Diskussionen harmonisch verlaufen, heisst das nicht, dass alle einverstanden sind. Manchmal schweigen Mitarbeitende aus Angst, als störend wahrgenommen zu werden, oder weil sie annehmen, dass ihre Perspektive nicht erwünscht ist. Amy Edmondson von der Harvard Business School hat schon 1999 gezeigt: Teams sind erfolgreicher, wenn Menschen sich trauen, Fehler einzugestehen, Kritik zu äussern oder Fragen zu stellen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen (lies mehr dazu hier ). Psychologische Sicherheit bedeutet also nicht: Wir sind immer nett zueinander. Sondern: Ich darf ehrlich sein, ohne Nachteile zu riskieren. Check für Teams: Ist das Klima für alle sicher – oder nur für einige wenige? Wer schweigt, welche Perspektiven bleiben verborgen? Nutzen wir unsere Stimme, um andere einzuladen? Sehen wir Meinungsverschiedenheiten als Chance statt als Gefahr? Wichtig: Psychologische Sicherheit ist kein individuelles Gefühl, sondern ein Klima, das alle Teammitglieder einschliesst. 2. Schweizer Arbeitskultur: Unter den Teppich gekehrt? In der Schweiz hat Konsens einen hohen Stellenwert. Konflikte werden oft gedämpft, Kompromisse gelten als Tugend. Das Risiko: Konsens wird leicht mit Sicherheit verwechselt. Stille Zustimmung wirkt friedlich – kann aber bedeuten, dass wichtige Punkte ungesagt bleiben . Ein Blick in Erin Meyers Culture Map zeigt: Während Deutschland direkt und konfrontativ kommuniziert, bevorzugt die Schweiz diplomatische Formulierungen und Konsens . Das erleichtert zwar den Umgang miteinander – birgt aber das Risiko, dass wichtige Punkte unausgesprochen bleiben . Gerade hier zeigt sich die Bedeutung psychologischer Sicherheit: Nur wenn auch in einem indirekten Kommunikationsstil Raum geschaffen wird, können heikle Themen angesprochen werden, ohne dass jemand das Gesicht verliert. 3. Harmonie vs. psychologische Sicherheit Forschung zu organisationalem Schweigen zeigt: Mitarbeitende halten heikle Punkte oft zurück, wenn sie negative Konsequenzen befürchten. Psychologische Sicherheit ermöglicht dagegen, dass Fehler, Einwände und kritische Perspektiven offen benannt werden – die Grundlage für Lernen, Anpassung und Innovation. Kein Kuschelkurs. Um den Unterschied greifbar zu machen, habe ich typische Aussagen aus Teams gesammelt, die Harmonie oder psychologische Sicherheit widerspiegeln: Merkmal Harmonie Psychologische Sicherheit Stimmungsbild im Team „Sind alle einverstanden?“ „Worauf müssen wir noch achten?“ Feedback „Ja, passt schon.“ „Mir ist aufgefallen, dass XY noch verbessert werden könnte – wie seht ihr das?“ Perspektivenvielfalt „Ich sag lieber nichts, will niemandem auf die Füsse treten.“ „Darf ich mal eine andere Sicht einbringen?“ Konflikte Betretenes Schweigen oder schneller Themawechsel „Wir sehen das unterschiedlich – lasst uns gemeinsam eine Lösung suchen.“ Forschung zu organisationalem Schweigen zeigt: Mitarbeitende halten heikle Punkte oft zurück, wenn sie negative Konsequenzen befürchten. Psychologische Sicherheit ermöglicht dagegen, dass Fehler, Einwände und kritische Perspektiven offen benannt werden – die Grundlage für Lernen, Anpassung und Innovation. 4. Gen Z, Inspiration und Sinn – Chancen für Schweizer Unternehmen Die HSG hat tausende Studierende der Generation Z (Jahrgänge 1995–2010) zu ihren Werten, Interessen und Arbeitsplatzpräferenzen befragt (lies dazu hier ). Das Ergebnis: Status und Leistung um der Leistung willen verliert an Bedeutung, gemeinschaftliches Arbeiten und sinnerfüllte Leistung werden wichtiger. Eine neue Arbeitnehmerstudie von ValueQuest unter über 500 Arbeitnehmenden in der Schweiz und Liechtenstein zeigt ein ernüchterndes Bild : 64 % der Befragten fühlen sich bei der Arbeit uninspiriert 62 % finden kaum oder wenige Inspirationsquellen im Unternehmen Rund ein Drittel des Potenzials bleibt ungenutzt Nur 39 % wissen, woran sie arbeiten oder was sie verbessern könnten. Nur 47 % bekommen regelmässiges Feedback von Führungskräften. Nur 43 % fühlen sich auch von Kolleg:innen ausreichend gespiegelt. Dazu kommt: Zwar dürfen viele eigene Ideen einbringen – doch nur ein Drittel erlebt, dass diese auch tatsächlich umgesetzt werden. Fast die Hälfte empfindet das Arbeitsumfeld als wenig innovationsfreundlich. Die Zahlen sind betrübend. Sinn, Mitgestaltung und ein Umfeld, in dem Ideen gehört werden, sind nicht nur für die Gen Z relevant – viele Generationen suchen genau danach. Faire Löhne, Sicherheit und respektvolle Führung sind zwar für die Zufriedenheit wichtig – aber wer „nur zufrieden“ ist, bringt aber nicht automatisch neue Ideen oder besonderes Engagement ein (Straume & Vittersø, 2012). Unternehmen, die psychologische Sicherheit, Feedbackkultur, Wertschätzung und Wachstumsmöglichkeiten fördern, schaffen die Voraussetzungen, dass Mitarbeitende jedes Alters ihr volles Potenzial entfalten können – und gleichzeitig das Engagement und die Innovationskraft steigern. 5. Praktische Impulse für Teams Wie verschieben wir den Fokus von oberflächlichem Konsens zu echter Sicherheit und Inspiration? Offene Fragen stellen ist einer der praktischen Schritte, die eine unglaubliche Kraft haben. ✔️ Verständnisfragen stellen: „Was ist für dich am wenigsten klar?“ / „Habe ich dich richtig verstanden?“ ✔️ Offene Fragen stellen: „Was spricht dagegen?“ ✔️ Andere Perspektiven einladen: „Welche Sicht fehlt uns noch?“ ✔️ Eigene Unsicherheit zeigen: „Ich bin mir hier nicht ganz sicher – wie seht ihr das?“ ✔️ Schweigende einbeziehen: „Wir haben X noch nicht gehört – was denkst du?“ ✔️ Mit echtem Interesse nachfragen: „Was hat dich daran gehindert, die Deadline einzuhalten?“ statt „Warum hast du den Termin verpasst?“ Weitere wertvolle Impulse zur Förderung von psychologischer Sicherheit in Teams findest du bei psych-safety.org – die dortigen Trainingsimpulse stehen allen frei zur Verfügung. 6. Fazit Harmonie fühlt sich bequem an – aber sie kann täuschen. Psychologische Sicherheit entsteht nicht, wenn nur einige mutig sprechen. Sie entsteht erst, wenn alle ihre Stimme einbringen können – und wir bewusst Raum dafür schaffen. Die Frage bleibt: Wie schaffen wir Arbeitsumfelder, in denen Mitarbeitende aller Generationen inspiriert und sicher arbeiten können? Wenn uns das gelingt, entstehen vielleicht nicht nur zufriedenere Teams – sondern Arbeitswelten, die Kreativität, Mut und Zukunftskraft freisetzen. Quellen Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350–383 . Morrison, E. W., & Milliken, F. J. (2000). Organizational Silence: A Barrier to Change and Development in a Pluralistic World. Academy of Management Review, 25(4), 706–725. Meyer, E. (2014). The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business. PublicAffairs. Inspiration als Produktivitätsfaktor: Neue Arbeitnehmerstudie zeigt Defizite in Schweizer Unternehmen - 13. Mai 2025 HSG legt umfassende Studie zu Gen Z und Arbeitsmarkt vor - 15.05.2025 Straume, L. V., & Vittersø, J. (2012). Happiness, inspiration, and the fully functioning person: Separating hedonic and eudaimonic well-being in the workplace. The Journal of Positive Psychology, 7(5), 387-398.
- Zwischen Bauchgefühl und Bias: Fair entscheiden im Recruiting.
Wie ist dein letztes Bewerbungsgespräch verlaufen? Erinnerst du dich an deinen ersten Eindruck? War er positiv – oder eher irritierend? Hast du gedacht: „Passt ins Team“ oder „Irgendwie nicht stimmig“? Solche Eindrücke entstehen oft in Sekundenschnelle. Aber worauf beruhen sie? Auf Intuition? Erfahrung? Oder auf unbewussten Annahmen? Unser Bauchgefühl spielt im Recruiting eine wichtige Rolle. Es liefert schnelle Hinweise – etwa: „passt“ oder „passt nicht“. Doch wenn wir uns zu sehr darauf verlassen, ohne nachzufragen, kann Intuitions-Bias entstehen. Unsere Urteile werden dann durch persönliche Erfahrungen oder Stereotype verzerrt – meist unbewusst. Der Unterschied: Bauchgefühle sind instinktiv und können hilfreich sein, wenn wir sie mit kritischem Denken kombinieren. Unconscious Bias hingegen sind unbeabsichtigte, voreingenommene Urteile, die objektive Entscheidungen erschweren – oft, ohne dass wir es merken. Im Recruiting bedeutet das: Ein erster positiver Eindruck kann wertvoll sein. Er sollte aber immer durch klare, strukturierte Kriterien ergänzt werden, damit Entscheidungen fair und kompetenzbasiert bleiben. Gerade hier ist diese Unterscheidung nicht leicht – aber entscheidend. Denn erste Eindrücke wirken mit – auch wenn wir glauben, objektiv zu sein. Und das hat Folgen - Für Chancen, und für Vielfalt. Und für die Frage, wer überhaupt zum Gespräch eingeladen wird. 1. Was ein Name (leider) verraten kann Ein Experiment aus der Schweiz zeigt: Der Name einer Person kann ihre Chancen auf ein Vorstellungsgespräch erheblich beeinflussen. In einer Studie wurden über 800 Bewerbungen verschickt – identisches Profil, aber unterschiedliche Namen. Das Resultat: Bewerbende mit ausländisch klingenden Namen mussten rund 30 % mehr Bewerbungen schreiben, um gleich viele Einladungen zu erhalten wie Personen mit typisch schweizerischen Namen. Auch andere Merkmale wirken sich aus: Eine internationale Metaanalyse von 18 Studien zeigt, dass offen homosexuelle Bewerbende rund 40 % seltener eine positive Rückmeldung erhalten – besonders in weniger qualifizierten Berufen Interessant: Bewerbungen, die persönliche oder soziale Aspekte wie Freiwilligenarbeit, Soft Skills oder Auszeichnungen hervorheben, sind weniger stark von Diskriminierung betroffen . Was hilft: ✔️ Bewerbungen in frühen Phasen anonymisieren ✔️ Klare Kriterien für Auswahl und Bewertung definieren – Fokus auf Kompetenzen statt auf Annahmen ✔️ Zusätzliche Felder für Soft Skills, Engagement oder Auszeichnungen beibehalten ✔️ Diversität im Auswahlgremium Quellen: Do Swiss Citizens of Immigrant Origin Face Hiring Discrimination in the Labour Market?( NCCR – on the move, 2023) Meta-analysis on hiring discrimination against homosexuals (Alexandre Flage, 2022) 2. Fair rekrutieren trotz Bias: Wann dein Kopf eine Pause braucht Auch der Zeitpunkt der Entscheidung kann eine Rolle spielen. Eine ETH-Studie, die 150'000 Bewerbungen in der Schweiz untersuchte, zeigt: 🕒 Kurz vor dem Mittag und am Feierabend steigt Diskriminierung um 20 %. Müde und unter Zeitdruck greifen wir also eher auf Stereotype zurück – unbewusst. Weitere Befunde: Frauen in männerdominierten Branchen: 7 % weniger Kontaktaufnahmen Männer in frauendominierten Bereichen: 13 % weniger Kandidierende mit Migrationshintergrund: 6,5 % weniger Chancen , mit zunehmender "kultureller Distanz" steigt der Effekt Was hilft: ✔️ Standardisierte Bewertungssysteme ✔️ Klare CV-Screening- und Interviewkriterien ✔️ Bewusste Pausen und gemeinsame Reflexionsrunden nach Auswahlprozessen Quelle: Arbeitsmarktdiskriminierung in der Schweiz (ETH, 2021) 3. Mehr Frauen – aber wie lange bleiben sie? Ein weiterer Faktor: Strukturelle Hürden – auch dort, wo Vielfalt auf den ersten Blick schon angekommen ist. Ein Beispiel: Das aktuelle Whitepaper "The Unseen Code: "Unlock Switzerland's female tech potential"mit Daten aus rund 20 Schweizer Tech-Firmen zeigt: Unter den Angestellten beträgt der Frauenanteil 30 %, im Junior Management 21 % und im Senior Management nur noch 18 %. Was den Frauenanteil bei MINT-Studienabschlüssen betrifft, steht die Schweiz im OECD-Vergleich von allen Ländern an drittletzter Stelle. Hemmende Strukturen: Frauen werden tendenziell nach Leistung , Männer nach Potenzial bewertet Führung wird noch oft durch ständige Verfügbarkeit definiert Fehlende Teilzeitmodelle Unbezahlte Care-Arbeit wird kaum berücksichtigt Die Folge: Viele talentierte Frauen stagnieren oder steigen aus, obwohl sie Kompetenz mitbringen. Was du tun kannst: ✔️ Transparente Beförderungskriterien ✔️ Teilzeit-fähige Führungsrollen anbieten ✔️ Bias-sensible Leistungsbewertungen einführen ✔️ Familienarbeit in Entwicklungspläne integrieren ✔️ Eine Kultur fördern, in der Präsenz und Flexibilität gleichwertig zählen Quellen: The unseen code. Unlock Switzerland's female tech potential (März 2024) Bias in potential vs. performance evaluations : Harvard Business Review (2014), Yale SOM (2017) Fazit Diskriminierung im Bewerbungsprozess ist selten böswillig – aber oft unbewusst und systemisch. Genau deshalb ist es so wichtig, die eigenen Prozesse kritisch zu hinterfragen und sich für Unconscious Bias zu sensibilisieren. Nur so kannst du sicherstellen, dass wirklich zählt, was zählt: Kompetenz, Motivation und Potenzial. Lass uns gemeinsam Strukturen schaffen, in denen nicht der Name, das Timing oder das Geschlecht entscheiden – sondern Talent und Haltung. PS: Wie stark verändert sich dein Eindruck von der Frau in den verschiedenen Bildern? Und wie würde das dein Bauchgefühl im Bewerbungsgespräch beeinflussen?
- Psychologische Sicherheit als Schlüssel zur Inklusion: Überraschende Einblicke
Wie führt ihr schwierige Gespräche in eurem Team? Diese Frage führt uns direkt zum Thema psychologische Sicherheit, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Unternehmen wie Google haben erkannt, dass psychologische Sicherheit nicht nur ein Konzept für bessere Teamarbeit ist, sondern auch der Schlüssel zu Inklusion und kontinuierlichem Lernen. Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mich entschieden, mich in diesem Bereich weiterzubilden – an der Berner Fachhochschule unter der Leitung von Prof. Dr. Ina Goller, einer Expertin auf diesem Gebiet und Studiengangleiterin des EMBA-Programms in Innovation. Bereits an meinem ersten Ausbildungstag als Facilitator psychologische Sicherheit bekam mein Hirn ordentlich Futter und Inspiration! Meine drei zentralen Highlights vom ersten Ausbildungstag: Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass sich alle "wohlfühlen". Vielmehr geht es darum, dass schwierige Themen offen angesprochen werden können – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. "Psychologische Sicherheit ist nicht das Ziel" - Ina Goller. Psychologische Sicherheit hilft Teams – unabhängig von Branche oder Umfeld – ihre Ziele besser zu erreichen und die Herausforderungen des Alltags effektiver zu meistern. Ohne psychologische Sicherheit bleiben wichtige Fragen unausgesprochen, Probleme ungelöst und Potenziale ungenutzt. Wenn immer nur dieselben Personen das Wort ergreifen, oder alle viel sprechen und niemand genug zuhört, fehlt es an neuen Perspektiven. Wenn Fehler nicht offen geteilt und gemeinsam reflektiert werden, bleibt wertvolles Lernen aus. Auf alle drei Erkenntnisse möchte ich in diesem Artikel näher eingehen. 1. Psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktor Warum leisten manche Teams mehr als andere, obwohl ihre Mitglieder ähnlich kompetent sind? Die Google-Studie von 2012 bis 2016 zeigt: Es kommt weniger darauf an, wer im Team sitzt, sondern wie das Team zusammenarbeitet. Teams mit hoher psychologischer Sicherheit: sind produktiver und innovativer wagen es, Fehler anzusprechen, und von Fehlern zu lernen profitieren mehr von Diversität, weil unterschiedliche Perspektiven gehört werden. Ohne psychologische Sicherheit bleiben wichtige Fragen unausgesprochen, Probleme ungelöst und Potenziale ungenutzt. Interessant: Teams mit tiefer psychologischer Sicherheit und hoher Diversität schneiden schlechter ab als wenig diverse Teams. Das heisst, dass Diversität nur dann ihr Potenzial entfaltet, wenn psychologische Sicherheit gegeben ist. Oder in den Worten von unserem Gastdozenten, Florian Rohr (Swisscom): Psychologische Sicherheit ist Investitionsschutz für Diversität. Natürlich ist psychologische Sicherheit nicht der einzige Erfolgsfaktor. Es gibt durchaus Teams mit toxischer Kultur und niedriger psychologischer Sicherheit, die langfristig erfolgreich sind – oft, weil Leistung durch Druck, Wettbewerb oder strikte Hierarchien erzwungen wird. Erfolg ist möglich – aber oft mit hohen menschlichen und unternehmerischen Kosten. 2. Lernen heisst Fehler machen dürfen – Veränderung heisst daraus wachsen Wir Menschen lernen nicht effektiv unter Angst oder Druck. Das Konzept des Locus of Control zeigt: Wer sich fremdbestimmt oder machtlos fühlt, nimmt weniger aktiv am Lernprozess teil. Carl Rogers betonte bereits 1965, dass individuelles Lernen die Grundlage für organisationale Veränderung ist. Doch Veränderung löst oft Unsicherheit aus – insbesondere, wenn Fehler als Schwäche statt als Lernchance gesehen werden. Wie können Organisationen eine Kultur schaffen, in der Menschen sich trauen, neue Dinge auszuprobieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen? Ein hilfreiches Modell zur Entwicklung psychologischer Sicherheit ist das von Timothy R. Clark entwickelte Vier-Stufen-Modell: Inclusion Safety: Das Grundgefühl, als Mensch akzeptiert zu werden. Learner Safety: Die Sicherheit, Fragen zu stellen und Fehler machen zu dürfen. Contributor Safety: Das Vertrauen, eigene Ideen und Beiträge einzubringen. Challenger Safety: Der Mut, bestehende Strukturen oder Entscheidungen zu hinterfragen. Jede dieser Stufen baut auf der vorherigen auf – fehlt eine, kann das gesamte Teamklima leiden. Dabei wachsen die Achsen Erlaubnis (Permission) und Respekt (Respect) nicht linear, sondern exponentiell: Je höher die psychologische Sicherheit, desto mehr fühlen sich Menschen ermutigt, sich einzubringen – und desto stärker wird ihre Stimme auch respektiert. Spannende Frage: Welche Aufnahmerituale existieren in deinem Team? Ab wann gehört jemand wirklich „dazu“? 3. Beispiele aus Wissenschaft und Praxis Die NASA erkannte 1979, dass Flugzeugabstürze nicht nur technische Fehler sind, sondern oft daran liegen, dass kritische Stimmen zu lange ignoriert wurden. Daraus entstand das Crew Resource Management (CRM), das klare Kommunikationsstrukturen und Feedbackkultur fördert. Psychologische Sicherheit bedeutet also nicht, dass sich alle einfach "wohlfühlen". Es geht darum, dass unangenehme Themen offen angesprochen werden können und kritische Perspektiven gehört wissen. Ein weiteres Beispiel: Zwischen 2012 und 2016 untersuchte Google, warum einige Teams besser performen als andere. Das Ergebnis: Es geht nicht nur darum, wer im Team ist (also die individuellen Kompetenzen), sondern vor allem darum, wie das Team zusammenarbeitet. 30 % der Leistung hängen direkt mit psychologischer Sicherheit zusammen. 4. Fragen, die ich weiterverfolgen und vertiefen möchte In welchem Masse ist psychologische Sicherheit kulturell geprägt? Wie wirken sich kulturelle Unterschiede auf die Wahrnehmung und das Erleben von psychologischer Sicherheit aus? Worauf müssen wir achten, wenn wir psychologische Sicherheit in kulturell diversen Teams fördern wollen? Welche besonderen Herausforderungen entstehen hier und wie können wir diese effektiv adressieren? Wie kann ich als Einzelperson aktiv zur psychologischen Sicherheit meines Teams beitragen? Welche kleinen Verhaltensänderungen haben besonders grossen Einfluss auf das Teamklima? Was passiert, wenn Teammitglieder mit hoher Verletzlichkeit konfrontiert werden? Wie wirkt sich dies auf die psychologische Sicherheit und das Vertrauen im Team aus? Was passiert, wenn ein neues Teammitglied in einem Team mit hoher psychologischer Sicherheit die Leistung nicht zufriedenstellend erbringt? Wie wirkt sich dies auf das Team aus, wenn die Person die vier Stufen der psychologischen Sicherheit nie vollständig erlebt? Fazit: Psychologische Sicherheit als Zukunftskompetenz Viele der sogenannten „Future Skills“ – wie Lernfähigkeit, Kreativität, Resilienz und Kollaboration – stehen in direktem Zusammenhang mit psychologischer Sicherheit. Sie entscheidet darüber, ob Teams ihr volles Potenzial entfalten, ob innovative Ideen entstehen und ob schwierige, aber notwendige Gespräche geführt werden. Psychologische Sicherheit ist zwar kein Selbstläufer – aber sie lässt sich bereits durch kleine, gezielte Verhaltensimpulse erlebbar machen. Schon durch einfache, alltägliche Handlungen und achtsame Kommunikation können Führungskräfte und Teammitglieder einen Raum schaffen, in dem sich jede*r sicher fühlt, seine oder ihre Meinung zu äussern oder über Fehler zu sprechen. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag. Welche Rolle spielt sie in eurem Arbeitsumfeld? Habt ihr Situationen erlebt, in denen psychologische Sicherheit den Unterschied gemacht hat – oder gefehlt hat, als sie besonders wichtig gewesen wäre? Ich freue mich auf eure Gedanken und Erfahrungen! Danke an Ina Goller, Gastdozent Jonas Naizdion und Gastdozent Florian Rohr für diesen fantastischen Start in diese Weiterbildung. Ich bin gespannt auf die nächsten Weiterbildungstage!
- Kulturelle Vielfalt: Die Zukunft ist postmigrantisch.
Ob bei einem Vorstellungsgespräch oder im Schulzimmer: Kulturelle Unterschiede prägen unser Miteinander und unsere Entscheidungen. Wie gehen wir mit dieser Vielfalt um – im Alltag, in der Wirtschaft und in unserer Gesellschaft? Man muss nicht in Biel oder Schwamendingen leben, einen Migrationshintergrund haben oder in internationalen Märkten tätig sein, um mit kulturellen Unterschieden konfrontiert zu werden. Diese begegnen uns nur schon zwischen der Romandie und der Deutschschweiz, oder zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen. Wir sind alle unterschiedlich kulturell geprägt – sei es durch das Dorf, in dem wir aufwuchsen, die Schule, die wir besuchten, oder die Werte, die unsere Lebensentscheidungen beeinflussen. Die Begriffe multikulturell , interkulturell und transkulturell tauchen auf, wenn von kultureller Vielfalt die Rede ist. Doch was bedeuten sie konkret – und welche Relevanz haben sie für Unternehmen? Und vor allem: Was genau ist eine „postmigrantische“ Gesellschaft? In diesem Artikel gehe ich diesen Fragen nach, kläre Begriffe und zeige auf, warum es für Unternehmen wichtig ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um zukunftsfähig zu bleiben. Multikulti: Kulturelle Vielfalt als buntes Nebeneinander Multikulturell beschreibt das friedliche Nebeneinander verschiedener Kulturen – oft mit wenig Interaktion. Ein klassisches Beispiel dafür sind Viertel in Städten wie London (z.B. Chinatown oder Southall), die klar von bestimmten ethnischen oder kulturellen Gruppen geprägt sind. Das Multikulti-Modell betont eher das tolerierte Nebeneinander als das Miteinander und birgt die Gefahr der Segregation. Was bedeutet das für die Arbeitswelt? Wenn in einem Unternehmen die Abteilungen isoliert voneinander arbeiten oder der Austausch hauptsächlich innerhalb der eigenen Kulturkreise oder Hierarchieebene stattfindet, entsteht eine „Bubble“. Menschen verbinden sich vornehmlich mit denjenigen, die ähnliche Sichtweisen, Werte und Kommunikationsstile teilen. Dies kann zu parallel existierenden Lebenswelten führen, in denen wenig Austausch stattfindet. Das Potenzial für innovative Lösungen und kreative Ideen wird nicht ausgeschöpft, was die Innovationskraft des Unternehmens erheblich einschränkt. Konflikte können oft unbemerkt schwelen, was langfristig die Zusammenarbeit und den Unternehmenserfolg gefährden kann. Tipp: Bewusst Plattformen schaffen, die den Austausch zwischen unterschiedlichen Teams und Ebenen fördern. Dies können interdisziplinäre Workshops, Mentoring-Programme oder informelle Networking-Events sein. Wichtig ist, dass diese Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden und genügend Raum für einen offenen Dialog bieten. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte "Lunch Roulette", bei dem Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen zufällig zusammengebracht werden, um neue Perspektiven zu gewinnen und Vorurteile abzubauen. Interkulturell: Kulturelle Vielfalt als Dialog zwischen den Kulturen Der Begriff interkulturell geht einen Schritt weiter. Hier geht es nicht nur um das Nebeneinander, sondern um den aktiven Austausch zwischen verschiedenen Kulturen. Es geht darum, die Unterschiede zu verstehen, Brücken zu bauen und Kommunikation zwischen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu ermöglichen. Was können Unternehmen daraus lernen? "Ein kleines Gedankenexperiment: Ein Mensch hat ein bestimmtes Problem zu lösen, und er kommt auf drei mögliche Lösungswege. Wie viele verschiedene Ansätze würden wohl zehn Menschen finden, die genauso denken wie dieser eine Mensch? Und wie viele Lösungsansätze würden demgegenüber zehn Menschen finden, die völlig unterschiedlich denken und unterschiedliche Perspektiven einbringen? Ich setze auf Vielfalt." - Ana-Cristina Grohnert Teams mit kulturell divers geprägten Menschen können komplexe Aufgaben oft besser lösen – vorausgesetzt, die unterschiedlichen Perspektiven werden erkannt, gefördert und genutzt! Studien zeigen, dass viele interkulturelle Projekte aufgrund von Missverständnissen scheitern, was sowohl finanziell als auch motivierend nachteilig ist. In anderen Worten: Diversität ohne Inklusion ist erstens problematisch und zweitens eine ungenutzte Chance. Interkulturelle Trainings können helfen, ein besseres Verständnis für die Eigenheiten anderer zu entwickeln – und bieten so die Chance, aus Diversität echte Vorteile zu ziehen. Eine wichtige interkulturelle Kompetenz ist das Wissen über Werte, Prinzipien und Tabus einer Kultur. Dabei spielt z.B. das Klären von Rollenvorstellungen und den damit verbundenen Erwartungen eine zentrale Rolle. Es gibt zum Beispiel Kulturen, in denen man sich gegenüber einer hierarchisch höher gestellten Person nie proaktiv einbringt oder Fragen stellt, ausser man erhält den Auftrag dazu. In der Schweizer Arbeitskultur wird das schnell als passiv und wenig initiativ gelesen. Für Personen aus der anderen Kulturen ist es aber ein Zeichen von Respekt. Damit solche Vorurteile und Missverständnisse, gar nicht erst entstehen, braucht es einen Austausch. Ein häufiger Fehler im Umgang mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ist die Annahme, dass sich für jede Herkunft klare „Dos and Don’ts“ definieren lassen. Diese Vereinfachung übersieht die Komplexität individueller Persönlichkeiten. Anstatt ein festes Regelwerk zu erlernen, ist es viel wertvoller, die Fähigkeit zu entwickeln, aufmerksam zu beobachten, zu reflektieren und offenzubleiben. Letztlich geht es bei jeder Begegnung um den Austausch zwischen Menschen – nicht zwischen Kulturen. Jede Person bringt ihre eigenen Erfahrungen und Sichtweisen mit, die über ihre kulturelle Zugehörigkeit hinausgehen. Transkulturell: Kulturelle Vielfalt als Flusslandschaft In der transkulturellen Perspektive wird deutlich, dass Kulturen keine abgegrenzten Einheiten sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen, sobald Menschen miteinander interagieren – ein Prozess, der schon entlang der ersten Handelsrouten begann. Ein Beispiel für transkulturelle Praxis ist die Musik- oder Kunstszene, in der verschiedene Kulturströme miteinander verschmelzen und neue Ausdrucksformen entstehen. Man interessiert sich für Eigenheiten, aber auch Gemeinsamkeiten. Was verbindet eine Landwirtin, die täglich den Boden bestellt, mit einem Künstler, der auf einer urbanen Bühne performt? Oder eine Managerin in einem Schweizer Grossunternehmen mit einem Strassenhändler in Mumbai? Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich manchmal universelle Werte, wie die Bereitschaft, harte Arbeit zu leisten, kreative Lösungen zu finden und sich an wechselnde Umstände anzupassen. Für transkulturelle Kompetenzen braucht es “die Haltung, dass die eigene Kultur und Perspektive nicht der Bauchnabel der Welt ist”- so Irma Endres, Studiengangsleiterin transkulturelle Kompetenzen am Institut für Kommunikation und Führung. Wir lernen die eigene Kultur erst dann richtig kennen, wenn wir sie nicht mehr als universellen Massstab nehmen. Was können Unternehmen daraus lernen? Eine auf Vielfalt und Inklusion setzende Unternehmenskultur fördert und ermöglicht das Einfliessen von Ideen, Werten und Perspektiven aus verschiedenen kulturellen Kontexten. Teams, die kulturelle Vielfalt nicht nur respektieren, sondern als Ressource verstehen, sind laut diverser Studien innovativer und erfolgreicher. Die notwendige Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Normen wird als Chance zur Weiterentwicklung genutzt, und nicht als Hindernis abgetan. Postmigrantisch: Kulturelle Vielfalt ist Normalfall. Die Zukunft ist jetzt. Der Begriff „postmigrantisch“ geht weit über die blosse Anerkennung kultureller Vielfalt hinaus. Migration wird nicht mehr als einmaliger oder temporärer Prozess verstanden. Sie gilt als Normalzustand, der die Gesellschaft kontinuierlich formt – und das schon immer getan hat. Die Geschichten und Erfahrungen von Migrant*innen werden nicht länger als Randerscheinung betrachtet. Kindheitsfoto von mir in Buchrain LU, wo ich 1979 - 1980 mein erstes Lebensjahr verbracht habe. Ein Blick auf die demografischen Daten der Schweiz verdeutlicht die Bedeutung einer postmigrantischen Perspektive: Rund 30 % der in der Schweiz lebenden Personen sind im Ausland geboren, fast 60 % der Kinder in der Schweiz haben mindestens ein Elternteil, der im Ausland geboren wurde, und bereits 40 % der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren haben einen Migrationshintergrund (BFS, 2024). Lies dazu auch meinen Blogartikel Kulturelle Vielfalt in der Schweiz - ein ungenutztes Potential? Es steht ausser Frage: Die nächste Generation von Arbeitnehmer*innen in der Schweiz wird zunehmend kulturell divers geprägt sein. Macht also die Einteilung “Schweizer*in / Eingeborene” und “Ausländer*in/ Migrant*in” wirklich noch Sinn? Die postmigrantische Schweiz fordert uns alle unabhängig von unserem Hintergrund auf, neu zu definieren, was es bedeutet, dazuzugehören und teilzunehmen. Was bedeutet das für Unternehmen in der Schweiz? Unternehmen, die bereit sind, sich auf die postmigrantische Gegenwart und Zukunft einzustellen, haben eine enorme Chance: Sie können den Anschluss an die nächsten Generationen und vielfältige Talente sichern. Das bedeutet auch, die Bewertungsmassstäbe für potenzielle Mitarbeitende zu hinterfragen. Statt sich ausschliesslich auf akademische Abschlüsse, Vitamin B oder standardisierte Berufsqualifikationen zu konzentrieren, sollten Unternehmen überlegen, welche zusätzlichen Perspektiven und Fähigkeiten jemand in ein Team einbringen kann. Die Frage lautet nicht mehr nur: Passt diese Person ins Team? Sondern vielmehr: Welche Perspektiven und Stärken können wir gemeinsam entfalten? Fazit: Auf dem Weg in die postmigrantische Zukunft Unternehmen, die kulturelle Vielfalt nicht nur anerkennen, sondern aktiv als Chance begreifen, werden in der Lage sein, das volle Potenzial ihrer Mitarbeitenden auszuschöpfen. Sie profitieren nicht nur von innovativeren Teams, sondern tragen auch zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Schweiz bei. Die Integration einer postmigrantischen Perspektive ist daher nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine strategische Investition für die Zukunft. 4 Tipps, wie Unternehmen sich auf die postmigrantische Realität vorbereiten können: Diversität gezielt fördern: Setzen Sie klare, messbare Ziele für Diversität und Inklusion, um Fortschritte transparent und nachvollziehbar zu machen. (Mehr dazu im Artikel Mehr als nur ein Bauchgefühl: Die Messbarkeit von DEI von Brigitte Hulliger ). Feiern und verbinden: Nutzen Sie kulturelle Feiertage oder festliche Anlässe, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und das interkulturelle Verständnis zu fördern. Transkulturell trainieren: Schaffen Sie Räume für transkulturelle Schulungen, die ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Werte und Perspektiven ermöglichen und den interkulturellen Austausch vorantreiben. Neu denken beim Rekrutieren: Experimentieren Sie mit innovativen Rekrutierungsformaten wie Hackathons oder gehen Sie Partnerschaften mit Organisationen ein, die sich auf die Förderung diverser Talente konzentrieren. Unternehmen, die Vielfalt als strategische Ressource nutzen, schaffen nicht nur ein kreativeres Arbeitsumfeld, sondern haben die Chance, als Vorreiter die Entwicklung einer inklusiveren und vielfältigeren Gesellschaft zu gestalten. Die entscheidende Frage bleibt: Sind wir bereit, diese Chance zu ergreifen? Quellen: EQUALITY = INNOVATION, Shook & Sweet, 2019 Cross-Cultural Management: Insights and Innovations in International Business, Robert Holcomb, 2023 Fokus: Kulturelle Differenzen als Chance nutzen, mit Irma Endres, 2022 Diversity wins. How inclusion matters, McKinsey, 2020
- Kulturelle Vielfalt in der Schweiz: Ein ungenutztes Potenzial?
"Ja, aber woher kommst du wirklich?" In der Schweiz in eine indische Familie geboren, bewege ich mich seit jeher zwischen Kulturen. Diese fortlaufende Verhandlung hat mein Verständnis für die Stärke vielfältiger Perspektiven immer weiter vertieft. Ich bin überzeugt: In der heutigen globalisierten Welt, dürfen und müssen wir alle lernen, gemeinsam unterwegs und doch eigen-artig zu sein. Oft habe ich mich gefragt, warum es in der Schweiz – einem Land, das von kultureller Vielfalt geprägt ist – schwierig ist, diese Vielfalt als selbstverständlich zu betrachten, im Arbeitsalltag widerzuspiegeln und zu nutzen. In meiner Arbeit als transkulturelle Coach und Workshop Facilitator sehe ich genau hier eine grosse Herausforderung und Chance für viele Schweizer Unternehmen. Kulturelle Vielfalt und Inklusion: Ein blinder Fleck In Schweizer Unternehmen dreht sich bei DEI (Diversity, Equity & Inclusion) meistens alles um Geschlecht, sexuelle Orientierung, Menschen mit Behinderungen oder Altersfragen (lies dazu Prof. Dr. Andrea Gurtner, Berner Fachhochschule, Diversity and Inclusion Management ) . Kulturelle Diversität und Inklusion hingegen bleibt häufig unerwähnt. Und dies gerade in einem Land wie der Schweiz, das durch seine kulturelle und sprachliche Vielfalt geprägt ist - ein blinder Fleck? Unsere Lebenswege führen uns längst über lokale und nationale Grenzen hinweg. Viele von uns leben nicht mehr dort, wo sie geboren oder aufgewachsen sind. Auch ohne Migrationshintergrund bringen wir einzigartige Lebenswelten und unterschiedliche kulturelle Prägungen mit, die unsere Normen und Werte beeinflussen. In der Schweiz kommt die sprachliche Vielfalt hinzu: Vier Landessprachen – jede mit ihrer eigenen Kultur – tragen zur kulturellen Komplexität des Landes bei. Die Zahlen zur ethnischen Diversität in der Schweiz sprechen für sich: Knapp ein Drittel der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz ist im Ausland geboren. Fast ein Viertel der im Ausland Geborenen lebt seit mindestens 20 Jahren in der Schweiz. Von den knapp 9 Millionen Bewohner*innen besitzen 2,4 Millionen keinen Schweizer Pass, und bei über der Hälfte der neu geschlossenen Ehen hat mindestens eine Person keinen Schweizer Pass. Fast 60% der Kinder in der Schweiz haben mindestens ein Elternteil, der im Ausland geboren wurde, und bereits 40% der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren hat einen Migrationshintergrund ( BFS, 2024 ) . Die Hälfte der jungen Arbeitnehmer*innen in der Schweiz haben also künftig eine Migrationsgeschichte. Trotz dieser beeindruckenden kulturellen Diversität bleibt die Schweiz für ausländische Fachkräfte nur eingeschränkt attraktiv. Eine aktuelle Umfrage der Expat-Plattform „Internations“ zeigt, dass die Schweiz von 53 befragten Ländern trotz der hohen Lebensqualität des Landes auf Platz 34 gelandet ist – im Vorjahr war sie noch auf Rang 23. Warum? Viele Fachkräfte gaben an, sie hätten Schwierigkeiten, in der Schweiz Anschluss zu finden. Zudem kämpfen Menschen mit Flucht - oder Migrationshintergrund darum, adäquate Positionen zu finden, oder sind gezwungen, unterqualifizierte Jobs anzunehmen, obwohl sie für anspruchsvollere Aufgaben hervorragend qualifiziert wären. Stellt sich also die Frage: Wie gut wird kulturelle Vielfalt in Schweizer Unternehmen tatsächlich verstanden, widergespiegelt und gezielt zur Fachkräftesicherung genutzt? Hindernisse für kulturelle Vielfalt und Inklusion Kulturelle Vielfalt zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe, da sie stösst auf ähnlichen Hürden wie etwa die Geschlechtergerechtigkeit, z.B. in Hinblick auf Rekrutierung oder Beförderungen: Unbewusste Vorurteile : Unconscious Bias sind tief in unserem Gehirn verankert, und wenn wir sie nicht bewusst adressieren, sind Rekrutierungspraktiken unreflektiert davon beeinflusst. So kommt es vor, dass Bewerbungen von Menschen, die den Entscheidungstragenden sehr unähnlich sind, was z.B. Aussehen, Namen oder Herkunft betrifft, benachteiligt werden (lies dazu A wie Affinity Bias ). Ausschluss durch Jobausschreibungen : Viele Unternehmen haben es bisher verpasst, zielgruppengerechte Ansprachen zu entwickeln, die junge und kulturell diverse Talente ansprechen. Strukturelle Diskriminierung : Studien belegen, dass Personen mit einem ausländisch klingenden Namen im Vergleich zu gleich qualifizierten Mitbewerbenden mit typisch schweizerischem Namen deutlich mehr Bewerbungen verschicken müssen, um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten (mehr dazu auf sozialinfo, Arbeitsmarkt: Ethnische Diskriminierung von Stellensuchenden ) . Diversität allein reicht nicht: Inklusion als Schlüssel Kulturelle Diversität ist in der Schweiz eine unvermeidliche Realität. Doch Diversität allein bringt noch keine Erfolge. Selbst wenn ein Unternehmen eine erhöhte kulturelle Vielfalt der Mitarbeitenden erreicht hat, ist der nächste Schritt, die Inklusion, der wichtigste. Eine gute Zusammenarbeit in einem kulturell durchmischten Team ist anspruchsvoll. Wenn unsere Lebens- und Arbeitswelt weniger monokulturell wird, verlieren wir die Basis von impliziten, gemeinsame Annahmen und Normen. Dies kann vermehrt zu Missverständnissen führen, das Vertrauen zueinander untergraben und (unbewusste) Vorurteile verstärken. Es braucht also etwas Aufmerksamkeit: Eine bewusste Auseinandersetzung, um die psychologische Sicherheit und transkulturelle Zusammenarbeit im Unternehmen zu fördern. Eine inklusive Arbeitsumgebung ist der Schlüssel, um das volle Potenzial diverser Talente auszuschöpfen ( McKinsey , What is diversity, equity, and inclusion? ). Wir lernen, die unterschiedlichen, einzigartigen Perspektiven, Lebenswelten und Stimmen aller Mitarbeitenden nicht als Irritation zu erleben oder bestenfalls zu tolerieren, sondern als Chance zu nutzen. Der Mehrwert von kultureller Vielfalt und Inklusion Diverse Studien von McKinsey zeigen neben der Rentabilität u.a. folgende Schlüsselbereiche, in denen Inklusion und Vielfalt die Gesamtleistung eines Unternehmens verbessern können: Bessere Entscheidungen durch verschiedene Perspektiven : Kulturell diverse Teams bieten eine Vielzahl von Blickwinkeln und Lösungsansätzen, was zu fundierteren Entscheidungen führt. Höhere Zufriedenheit der Mitarbeitenden : In inklusiven Teams fühlen sich Mitarbeitende wertgeschätzt, was zu höherer Motivation und Mitarbeiterbindung führt. Effektivere Teamarbeit : Teams, die kulturelle Unterschiede aktiv nutzen, arbeiten oft produktiver und kreativer zusammen. Internationale Erfahrung als wirtschaftlicher Vorteil : Unternehmen profitieren von der globalen Perspektive ihrer Mitarbeitenden und können ihre Strategien besser auf internationale Märkte abstimmen. Was Unternehmen tun können Hier sind fünf praxisorientierte Schritte, die Unternehmen dabei unterstützen können, Vielfalt effektiv zu nutzen und eine inklusive Unternehmenskultur zu fördern (lies Erfolgsfaktor kulturelle Diversität und faire Teilhabe. Wie deutsche Unternehmen jetzt aufholen können ) . Vielfalt strategisch verankern: Wenn Führungskräfte klare Ziele für Diversität setzen, wird Vielfalt nicht nur ein schönes Wort, sondern Realität. Das sorgt dafür, dass unterschiedliche Perspektiven aktiv in Entscheidungen einfliessen und das Team bereichern. Unconscious Bias handhaben: Wir alle haben unbewusste Voreingenommenheiten, die unsere Entscheidungen beeinflussen können. Durch Schulungen können Mitarbeitende lernen, diese Unconscious Bias zu erkennen und daraus entstehende Fehlentscheidungen zu reduzieren, sodass Bewerbungen und Beförderungen fairer und objektiver gehandhabt werden. Eine allen zugängliche Sprache als interne Arbeitssprache etablieren: Englisch, oder nur schon "Hochdeutsch" als zusätzliche, gemeinsame Unternehmenssprache einzuführen, kann Sprachbarrieren abbauen, und internationalen Talenten das Einleben erleichtern. So wird die Zusammenarbeit in internationalen Teams reibungsloser und das Unternehmen für globale Talente attraktiver. Kultureller Austausch und Mentoring: Austauschprogramme und Mentoring für kulturell diverse Talente fördern den kulturellen Dialog und helfen, ein tieferes Verständnis und stärkere Verbindungen innerhalb des Teams aufzubauen. Fortschritte transparent machen: Regelmässige Berichte und Erfolgsstorys machen sichtbar, wie sich das Unternehmen entwickelt. Das schafft Klarheit über Erfolge und zeigt den Weg hin zu einer inklusiveren und vielfältigeren Unternehmenskultur. Mein Fazit: Die Chance für die Schweiz Kulturelle Vielfalt ist in der Schweiz zwar Realität, doch nur durch eine bewusste Inklusion kann ihr Potenzial wirklich entfaltet werden. Ein Arbeitsumfeld, das kulturelle Vielfalt fördert und allen Mitarbeitenden faire Teilhabe ermöglicht, ist heute mehr denn je nicht nur eine ethische Entscheidung, sondern ein belegter Wettbewerbsvorteil für Unternehmen. Das wichtigste ist jedoch: Wenn wir aus unserer „Bubble“ herauswachsen, Begegnungen auf Augenhöhe führen, mit Menschen, die anders gestrickt sind als wir, werden unsere Neuronen neu befeuert, unser Gehirn ist begeistert, und wir wachsen über uns hinaus. Wir sind zufriedener, was sich wiederum positiv auf unsere Arbeitsumgebung auswirkt!





